Die Tage werden wieder kürzer. Das Herbstlicht macht die Blätter welk, und auch den Menschen wird ganz schwer ums Herz. Es ist die Zeit des Lesens und des aufmerksamen Plattenhörens. Nur so bewältigt man den Kater und die Scham nach einem Sommer, der die Menschen Mambo tanzen ließ: "But they don't know the fool I was." Im Herbst besingt man seine Narreteien. Wie Elvis Costello, dieser Sänger mit der starken Brille und der wunderschönen Nasenstimme.
Vor einem Jahr war "Painted From Memory" die Platte der Saison. Ein synästhetisches Ereignis in den kräftigen Farben des Spätsommers. Die Musik kam vom großen B.B., vom Kalifornier Burt Bacharach, den der Pop der Neunziger zurücklocken konnte ins bunte Geschäft. Am Ende des Jahrhunderts plagt den Pop die Sehnsucht. Nach weißhaarigen Helden. Nach der Schönheit der sechziger Jahre. Nach sich selbst. Die Cranberries vergingen sich an "Close To You", die Band Oasis nahm das Bildnis des Burt Bacharach auf ihre Hülle: Der nette Onkel aus dem Land der leichten Muse. Verdient hatte er das nicht.
Also schrieb er wieder selbst für Band und Orchester - und für Elvis Costello und bekam 1998 einen Grammy für das gemeinsame Lied "I Still Have That Other Girl" in der Kategorie "Best Pop Collaboration With Vocals". Bacharach, der Herr der Harfen und Flügelhörner. Und Costello, der irgendwie mit Punk und Rock'n'Roll zu tun gehabt hatte, bevor er 1993 zum Streichquartett von Romeo und Julia sang. 1995 war Elvis Costello einmal künstlerischer Leiter des Meltdown Festivals in der Queen Elizabeth Hall von London. Sein liebster Gast hieß Bill Frisell, ein kurzsichtiger Jazzgitarrist aus dem amerikanischen Mittelwesten. Für einen Abend stieg Costello zu ihm auf die Bühne. Sie spielten Costello, Loewe und Mingus im Duett und nahmen das Kultalbum "Deep Dead Blue" auf. Zwei Brillen für ein Halleluja.
Man muss davon erzählen, um die aktuelle Herbstplatte "The Sweetest Punch" zu erklären. "The Sweetest Punch" ist ein Remake des Albums "Painted From Memory". Doch sie ist mehr als das. Das Original war in Los Angeles entstanden, und zur gleichen Zeit nahm Bill Frisell in New York die Songs noch einmal auf. Auf der Grundlage von Liederskizzen, von Klavierauszügen und von Demobändern mit Gesang und Klavier. "Diese Songs sind einfach unglaublich schön", sagt der Gitarrist. "Perfekt geformte Strukturen. Für mich erschien es besonders verlockend, eine ganz andere Instrumentierung als Burt zu versuchen. Burt benutzte seine Farben und ich meine."
Frisell bevorzugt die gedeckten Töne. Ein sanftes Raunen im Sound. Die Klanglandschaft als Kulisse für den Fluss der Melodie. Eine kleine Big Band steht ihm hier zur Seite mit Gitarre, Bass und Schlagzeug, mit zweimal Holz und zweimal Blech. "Painted From Memory", das Lied, singt nun Cassandra Wilson, die Diva des Mainstreams, zur Gitarre. "I Still Have That Other Girl" bringt die Wilson und Costello zueinander. Doch schöner ist es, wenn die Stimmen und die Texte fehlen. Dann verwandelt Frisell diese Balladen in eine seltsam verstörende Musik zwischen Jazz und Pop und Kitsch. Er zwingt seine Bläser, taktelang im Einklang zu spielen und die großen Bögen zu verfolgen. Und er entlässt sie immer wieder aus der strengen Form. Er lässt sie umeinander tanzen wie im Herbst die Kinderdrachen. Zwölf Rhapsodien und zwei Reprisen: Best Jazz Collaboration With Autumn.
"The Sweetest Punch" war schon im Frühjahr angekündigt. Doch im März hätte kein Mensch mehr etwas anfangen können mit einer Platte wie dieser. Jetzt ist wieder Zeit dafür. Die Musik wird wieder schöner, wenn der Wind die Blätter von den Bäumen weht. Und ein schweres Herz macht vieles leichter.
Bill Frisell: "The Sweetest Punch". Songs of Elvis Costello and Burt Bacharach (Verve/Decca/Universal)
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