- Man traut seinen Ohren kaum: 50 Jahre musste Elvis Costello alt werden und 24 Alben veröffentlichen, ehe er endlich völlig entspannt klingt. Auf seiner 25. Studio-Platte "The Delivery Man" ist der Vorzeige-Intellektuelle der Pop-Szene derart bei sich und doch so entrückt, dass es eine einzige Freude ist.
Die Ikone der New-Wave-Bewegung erinnert an die eigenen Anfänge in den späten 70ern und verblüfft mit Abstechern in Blues und Country. Beides wird ergänzt durch den süffigen New-Orleans-Sound, der die exzellente Platte durchzieht. Nach interessanten, aber eher spröden CDs, in denen Costello eine Fusion von Avantgarde, Klassik und Rock anstrebte, nölt er sich auf "Delivery Man" mit unverwechselbarer Stimme durch erdige Songs, die streckenweise an die Einfachheit traditionellen Liedguts anknüpfen.
Unstillbares Verlangen nach Liebe und Glück
Für gedrechselte und zynische Wortkaskaden berüchtigt, hat Costello bei manchen Liedern nun auch die Eleganz des Simplen für sich entdeckt und eine neue Dimension als Texter erschlossen. Es sind oft intime, kleine Geschichten, die Costello erzählt, getragen vom Fatalismus eines halben Jahrhunderts Lebenserfahrung und doch durchtränkt vom unstillbaren Verlangen nach Liebe und Glück. Der Mann gibt nicht auf, und dieser gelassene Weltschmerz wirkt glaubwürdig.
Costello, der immer gerne Posen eingenommen und das Image des Anti-Stars kultiviert hat, scheint keine Lust mehr auf Versteckspielen zu haben. Das hat sich ansatzweise schon auf seinem letzten Album "North" abgezeichnet und ist nun bei "Delivery Man" das Leitmotiv. Deshalb kann er authentisch im Country-Stil singen, ohne lächerlich oder sarkastisch zu erscheinen. Seine Duette mit Country-Legende Emmylou Harris sind folgerichtig die Höhepunkte der CD, insbesondere "Scarlet Tide" ist ein makelloses Meisterwerk.
"Ein Mann hat keine Wahl, wenn er alles will", heißt es da so schön, und das könnte auch das Motto des 26. Costello-Albums "Il Sogno" sein, das ebenfalls jetzt erschienen ist. Vor vier Jahren als Auftragswerk für das italienische Ballett-Ensemble "Aterballetto" entstanden, hat Costello seine Musik für eine Inszenierung nach Shakespeares "Ein Sommernachtstraum" mit Hilfe des London Symphony Orchestra und Dirigent Michael Tilson Thomas auf CD gebannt.
Costello versucht sich seit einem Jahrzehnt immer wieder im klassischen Idiom und arbeitete unter anderem mit Anne Sofie von Otter. Bei seinem ersten langen klassischen Stück erweist er sich als überraschend konservativ. Wie so viele Revoluzzer ist Costello im Innersten ein sentimentaler Träumer.
Das durchaus ansprechende "Il Sogno" erinnert an Tschaikowsky, gelegentlich, wenn Costello wilder sein möchte, an Strawinsky und in den kurzen Zwischenspielen an Cole Porter. Eine bemerkenswert melodische Angelegenheit, die Costello-Fans nicht restlos begeistern wird, aber seine ambitionierte Vielseitigkeit eindrucksvoll unter Beweis stellt. Demnächst folgt vielleicht ein Weihnachtsoratorium.
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