Elvis Costellos neue Platte ist eine gegensätzlich geratene Sammlung von Balladen, eingespielt mit Streichern, Hörnern und Flügel. Costello singt dazu den Bildungsbürger-Blues über altes Leid und neue Liebe. Mit Costello sprach Josef Engels.
Berliner Morgenpost: Meinen Sie, man muss ein gewisses Alter haben, um Musik mit Anspruch zu mögen?
Elvis Costello: Es gibt viele Arten von Musik, die einen als Kind ungeduldig werden lassen. Musik, die aus komplizierten Formen besteht, wie Jazz oder Klassik. Als ich klein war, wurden mir Chopin, Grieg, Mozart oder die Brandenburgischen Konzerte vorgespielt. Das war nachvollziehbar wegen der Melodien. Es lief auch viel Frank Sinatra, Peggy Lee oder Mel Tormé im Haus. Man entfernt sich von dieser Musik, wenn man älter wird. Du triffst deine eigenen Entscheidungen und kaufst deine eigenen Platten. Aber irgendwann entsinnt man sich wieder der alten Dinge. Die Musik auf meiner neuen Platte kommt nicht völlig unvorbereitet.
Können junge Leute diese Musik verstehen?
Warum nicht? Sie mag sich denen verschließen, die denken, dass authentische Gefühle nur geschrieen ausgedrückt werden können. Die anders strukturierten Formen meiner Musik würden sie nicht verstehen. Es gibt da keine Gitarren, keinen Backbeat, an dem man sich festhalten kann. Als ich ein Teenager war, habe ich mich mit Musik, die mir eigenartig erschien, auseinander gesetzt. Etwa Joni Mitchells erste Platte, wo sie nur in klarem Sopran singt. Sehr verstörend. Auch ihre Texte über den Verlust von Idealen. Ich fand das trotzdem faszinierend. Man soll nicht denken, dass junge Menschen unfähig sind, Musik zu verstehen, die anders ist als das, was die Industrie ihnen mit viel Lärm andrehen will. Ich wäre jedoch nicht überrascht, wenn sie meine Musik trotzdem nicht begriffen.
Droht die Jugend derzeit, musikalisch zu verrohen?
Ach was. Ich finde keine der zurzeit angesagten Bands besonders einschüchternd. Bestimmt nicht so einschüchternd, wie sie gern sein möchten. Ich finde das alles ziemlich ängstlich, vorhersehbar und memmenhaft. Die modernen Punkbands sind doch nur Kopien. Ich will damit nicht sagen, dass heute nichts von Wert passiert. Ich glaube nur nicht, dass es von diesen Gruppen kommt. Die müssen noch härter werden.
Sagen Sie doch mal: Was kann die Jugend von Ihnen lernen?
Ich weiß doch nichts. Die können nix von mir lernen. Doch: Wie man sich aus einem zornigen jungen Mann in einen Klassiker verwandelt. Meine Musik fing weit weniger wütend an, als immer geglaubt wird. Es war sehr viel Verwirrung und Zweifel in dieser Musik, vorgetragen mit großer Überzeugung, die das Ganze erzürnt erscheinen ließ. Ich habe später weit bösere Songs geschrieben. Sie sorgten nur nicht für so viel Überraschung, weil man sich daran gewöhnt hatte. Gerade in den neunziger Jahren habe ich Lieder geschrieben, die im Text extrem aggressiv sind. Da steckt viel Enttäuschung über die Welt drin.
Die neue Platte heißt "North" und ist oft recht traurig.
Norden heißt eigentlich: nach oben. Es ist ein optimistischer Titel, obwohl der Norden normalerweise mit Kälte in Verbindung gebracht wird. Glauben Sie mir: Es gab ernsthafte Diskussionen darüber mit der Plattenfirma, ob dieser Name zu einer Platte mit solch einem hohen Grad von Zärtlichkeit, Emotionen und Wärme passt.
Es ist schon eher eine Herbstplatte.
Das stimmt.
Haben Sie das Gefühl, im Herbst Ihres Lebens zu sein?
Ich hoffe nicht. Ich werde 49, das ist doch noch relativ jung. Ich glaube, es gibt noch genügend Wechsel und Überraschungen in meinem Leben. Wenn man nur die Platten kennt, die in den letzten Jahren herausgekommen sind, weiß man nicht viel von Musik. Ich zum Beispiel höre sehr viele deutsche Kunstlieder, obwohl ich die Sprache nicht beherrsche. Da geht es oft um die Natur und die Jahreszeiten als Abbild des menschlichen Seins. Ich habe auch schon vorher Stücke geschrieben, die sich stark auf Schubert beziehen. Nicht, dass ich Schubert zu imitieren versuchte.
Wann wurde das geschrieben? Bevor öffentlich wurde, dass Sie sich von Ihrer Frau getrennt und mit Diana Krall verlobt haben?
Es ist gefährlich, diese Platte in einen chronologischen Zusammenhang mit meinem Leben bringen zu wollen.
Trotzdem - schmerzhafte Trennung und neues Liebesglück sind als Themen offensichtlich.
Das Leben ist komplizierter, als es die besten elf Songs jemals kundtun könnten. Ich erzähle Dir nicht alles über mein Leben, sondern habe nur Lieder geschrieben, die teilweise auf meine Erfahrungen basieren. Es sind immer noch Songs, keine Polaroids. Die realen Erlebnisse sind oft nicht erfreulich, daraus ließe sich wenig Unterhaltsames machen.
Ist wenigstens Ihre Brille echt?
Ich muss eine Brille tragen, seit ich 18 bin. Dass ich die nur zum Spaß aufhabe, ist auch so eine Legende. Sehschwäche liegt bei mir in der Familie. Da tragen alle Brille.
Konzertsaal Universität der Künste, Hardenbergstr. 33, Charlottenburg. Tel.: 31 85 23 74. Morgen, 20 Uhr.
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