Während diese pandemischen Zeiten viele Musiker eher zu introspektiven und melancholischen Songs inspirieren, geht Tausendsassa Elvis Costello, der sich seit seinen Anfängen 1977 in zahllosen Genres ausgetobt hat, den umgekehrten Weg. Das im Oktober 2020 erschienene Soloalbum "Hey clockface" war eine äußerst unterhaltsame Tour de Force durch verschiedene musikalische Spielarten, und erst vor einem halben Jahr veröffentlichte Costello dann zusammen mit einer Vielzahl verschiedener Sängerinnen und Sängern das ebenso überraschende wie überzeugende "Spanish model", eine spanischsprachige Latin-Neufassung seines Klassikers "This year's model". Und womöglich ist es die Auseinandersetzung mit diesem Frühwerk, die Costello dazu inspiriert hat, auf "The boy named If" derart catchy zu rocken und zu rollen, wie es der Londoner seit den Siebzigerjahren vielleicht höchstens noch 2003 auf "When I was cruel" getan hat. Damals wie jetzt wurde er kongenial begleitet und ergänzt von The Imposters, von denen immerhin zwei Drittel auch schon als Teil der legendären Attractions bei Costellos frühen Großtaten dabei waren.
Loses übergeordnetes Thema des Albums ist das Ende der Kindheit und der damit einhergehende Verlust der Unschuld. Der ungewöhnliche Jungenname "If" aus dem auf einem ebenso eigentümlichen wie eingängigen Beat surfenden Titeltrack, steht für den bei Kindern so beliebten eingebildeten Freund, der alles darf, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Und nach eben solch juveniler Frische klingen auch Songs wie "Penelope Halfpenny" oder "Magnificent hurt" mit seiner treibenden Orgel, die Erinnerungen an die frühen Hits von Elvis Costello wach werden lassen, ohne aber je Altbekanntes einfach nur aufzuwärmen. Auch der herrlich wüste Garage-Rock-Opener "Farewell OK" stürmt und drängt wie die frühen Beatles dies in Hamburger Kellern zu tun pflegten. Die wenigen, mit warmem Timbre gecroonten, balladesken Momente wie vor allem "Paint the red rose blue" und "Mr. Crescent" bieten emotionale Haltepunkte und sind auch Anspieltipps für Leser, die von Elvis Costello hauptsächlich seine Version des Charles-Aznavour-Chansons "She" aus dem Notting-Hill-Soundtrack kennen.
Auf "The death of magic thinking" illustriert die Band sehr clever mit synkopischem Beat und zerfasernder Songstruktur die in den Lyrics beschriebene, zunehmende Desorientierung von Heranwachsenden. Überhaupt sind die Texte wie so oft bei Costello auch hier ein großes Vergnügen. Mit Zeilen wie "A part time waitress with a dream for greatness" in "My most beautiful mistake" wird in wenigen pointierten Worten ein Charakter, eine Situation oder ein Gefühl beschrieben. Einen vom Blick seiner Geliebten verunsicherten, betrügenden Ehemann lässt Costello "Don't fix me with that deadly gaze / It'squos a little close to pity" flehen, und die Beobachtung "I've seen your kind before / In courtroom sketches" ist wohl einer der am schönsten formulierten Körbe aller Zeiten. Wenn man Costello bei diesem tollen Album irgendetwas vorwerfen möchte, dann höchstens die um zwei oder drei Songs zu lange Spielzeit – die aber nichts daran ändert, dass man es guten Gewissens "Meisterwerk" nennen kann.
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